DIE ROTEN DRACHEN
UND
DAS
DACH DER WELT

     
PRESSEKRITIKEN

Hamburger Abendblatt
Unbedingt empfehlenswert, dass Tibet-Roadmovie "Die roten Drachen und das Dach der Welt"

NDR Fernsehen, Kulturjournal

Bedrückende Innenansichten aus Tibet - Der Film "Die Roten Drachen und das Dach der Welt"

Dieser Film kommt gerade zur richtigen Zeit in die deutschen Kinos. In "Die Roten Drachen und das Dach der Welt" dokumentieren zwei deutsche Filmemacher ihre Reise nach Tibet. Sie liefern Innenansichten aus einem Land, das unerbittlich von den Chinesen beherrscht wird - lange bevor die jüngste Welle von Gewalt in Tibet ausbrach. Die beiden haben mit der Kamera festgehalten, wie sie verborgen unter einer Plastikplane an chinesischen Militärposten vorbei geschmuggelt werden, über steile Bergpässe zu versteckten Klöstern wandern und wie die traditionelle Kultur der Tibeter langsam aus dem Alltag verschwindet.

Badische Zeitung
Tibet auf dem Weg zum Touristenspektakel
Doku: Der Film „Die roten Drachen und das Dach der Welt“ des Freiburgers Marco Keller
Ein Mädchen in bunten Gewändern steht auf einem öffentlichen Platz und tanzt, dass die vielen langen Flechtzöpfe fliegen. Ein buddhistischer Mönch in weinroter Robe hockt mitten im Fußgängergewusel auf dem Boden und betet, eine Frau vollzieht rituelle Niederwerfungen. Und vor dem Potala-Palast geht die Sonne auf und taucht die imposanten Mauern in zartes Licht. Na klar, wir sind in Lhasa, Tibet. Bilder wie diese flimmern dieser Tage gehäuft über deutsche Bildschirme, weil der Dailai Lama da ist – in Hamburg und, am Samstag, in Freiburg. Es sind die Klischees vom „Dach der Welt“, zu denen natürlich auch majestätische Schneeberge gehören und ein ernst dreinblickendes Knäblein in gelbem Gewand, das als wichtige Wiedergeburt erkannt wurde.
All diese Bilder zeigt der Dokumentarfilm „Die roten Drachen und das Dach der Welt“ auch. Aber er bettet sie ein, zeigt sie als das, was sie sind: Facetten nur aus dem tibetischen Alltag. Und der ist weit weniger bunt und erhebend als die mystifizierenden Vorstellungen des Westens vom pittoresken buddhistischen Völkchen, das sich lächelnd, betend und meditierend unter chinesischer Besatzung behauptet. Drei Monate lang waren im Herbst 2004 zwei Freiburger in Tibet unterwegs: Marco Keller (Regie und Kamera), Lehrbeauftragter für Filmtheorie und Kameraarbeit an der Pädagogischen Hochschule, und Ronny Pfreundschuh (Drehbuch, Fotodokumentation), Realschullehrer und Fotograf.
Begleitet wurden sie von einer Freiburger Ethnologiestudentin – und bald auch von zwei jungen Schweden, die sich mit ihnen auf den Weg machten, Tibet zu erfahren. Verfallene Klöster zu besuchen, Alltag zu erleben in Hunderten von Details: Arbeit und Spiritualität, Essen und Wohnen, eine natur zwischen gnadenlosen Steinwüsten und glitzerndem Wasser vor grandiosen weißen Gebirgsketten. Menschen erzählen zu lassen, von Zwangssterilisation und systematischer Ausrottung der tibetischen Sprache.
Diese Interviews, mit der Videokamera aufgenommen teils unter großen Vorsichtsmaßnahmen, machen den Film so eindringlich. Fertig gestellt wurde er erst diese Tage, zum Dalai-Lama-Besuch: die wohl jüngste detaillierte Dokumentation des tibetischen Dilemmas zwischen Tradition und chinesischer Moderne. Ein ruhiger, klug geschnittener Film, der Emotionen weckt, sie aber nicht schürt und auch Chinesen zu Wort kommen lässt.
Das Roadmovie im klapprigen Geländewagen führt von Nord nach Süd, von Golmud in der chinesischen Provinz Qinghai hinein ins so genannte Autonome Gebiet Tibet mit der Hauptstadt Lhasa und über den Himalaya nach Nepal. „Wir kamen wie die Chinesen und gingen wie die Flüchtlinge“, sagt Marco Keller. Das Thema wird augenfällig in der damals im Bau befindlichen Bahnlinie von Golmud nach Lhasa, auf der inzwischen auch deutsche Touristen reisen: China überrollt Tibet.
Vor allem Lhasa. Nur ein winziger Teil der Hauptstadt ist heute überhaupt noch rein tibetisch geprägt, der Rest sieht aus wie chinesische Städte auch, mit Shoping Malls, Prachtstraßen, Plätzen. Und auf so einem tanzt das kleine Mädchen mit den fliegenden Zöpfen. Neben ihr, und auch das nimmt die Kamera in den Blick, dreht sich ein Betrunkener mit Schnapsflasche. Touristenbelustigungen, alle beide.
Gabriele Schröder in ihrer Kritik in der Badischen Zeitung vom 27.07.07, zur Filmfassung 2007

MAINPOST
Unzensierte Bilder aus Tibet

Der Film „Die roten Drachen und das Dach der Welt“ wurde am Samstag, dem Welttag der Pressefreiheit, an dem China als „größtes Gefängnis für Journalisten“ bezeichnet wurde, im Cinemaxx erstmals aufgeführt.
Marco Keller und Ronny Pfreundschuh, die bei der Würzburger Premiere anwesend waren, hatten den Film ohne jegliche Genehmigung in China gedreht – hätten sie nach einer Erlaubnis gefragt, wäre der Film nie entstanden. Einige Monate waren sie vor 2006 dort unterwegs, genauere Angaben dazu machen sie nicht, um ihre Helfer in Tibet nicht zu gefährden. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist jedoch nicht zufällig gewählt: „Momentan geht es der chinesischen Regierung darum, im Westen ihr Gesicht zu wahren, während sie in Tibet Demonstrationen niederknüppeln. Es besteht die Gefahr, dass das bei den Olympischen Spielen und danach schnell wieder vergessen wird“, so Ronny Pfreundschuh.

Die beiden Filmemacher stammen aus Tauberbischofsheim, trafen sich in Freiburg wieder und beschlossen, das Projekt zu wagen. Marco Keller hatte vorher schon in anderen Teilen der Welt gefilmt, Ronny Pfreundschuh hatte sich schon länger mit dem Thema Tibet auseinandergesetzt. Sie reisten als Touristen nach China, schlugen sich per Bahn nach Tibet durch, schlossen sich immer wieder anderen Reisegruppen an, um nicht aufzufallen. Sie ließen sich unter Planen auf einem Pickup an bewaffneten Polizeiposten vorbei schmuggeln und übernachteten auf über 5000 Metern Höhe bei Gewitter und Regen in Zelten.

Die Cinemaxx-Premiere moderierte Dr. Eva Kuczewski-Anderson an, die Sprecherin der Tibet-Initiative Würzburg, die die beiden bei diesem Film unterstützt hatte und im Foyer des Kinos gemeinsam mit Amnesty International über die zahlreichen Verletzungen der Menschenrechte in China aufklärte.

Die fast 200 Zuschauer sahen anschließend teilweise unkommentierte Bilder, die für sich selbst sprachen, Interviews mit Tibetern in ihrem Land und im Exil in Nepal, mit Chinesen, mit dem Zuständigen für das UN-Flüchtlingslager für Tibeter in Kathmandu und gar mit dem Dalai Lama – nach langem Hin und Her kam das in Deutschland zustande, eine Ehre für die Filmemacher.

Bizarr wirkten die chinesischen Touristinnen vor einem tibetischen Kloster, die sich vor der Attraktion fotografieren ließen, während eine gläubige Tibeterin auf Knien darauf zurutscht oder die gläsernen Häuserfassaden chinesischer Großstädte neben dem Potala-Palast in Lhasa. Schrecklich die Bilder eines rumänischen Kamerateams, die filmten, wie eine Gruppe Tibeter über den Himalaya nach Nepal flüchtet und eine 17-jährige Nonne von chinesischen Grenzpolizisten erschossen wird – die einzige Szene, die Keller und Pfrundschuh nicht selbst drehten.

Am Ende mussten sich die beiden zahlreichen Fragen der Zuschauer stellen. Ähnlich unzensierte Bilder aus der Region dürften so bald kaum mehr irgendwo zu sehen sein.
Beate Spinrath

Brennpunkt Tibet
Unter den zahlreichen Filmen, die es über Tibet inzwischen gibt, ist zwei jungen Freiburger Filmemachern etwas ganz Besonderes gelungen: Sie haben sich heimlich und ohne Drehgenehmigung durch China und Tibet bewegt und zeichnen dabei ein Bild des Landes, das dokumentiert, wie China Tibet sehen möchte, und wie die Realität hinter den äußeren Erscheinungsformen aussieht. Menschen, die sich vor Tempeln und Statuen niederwerfen und dabei glücklich versunken wirken, könnten der Beweis für praktizierte Religionsfreiheit sein, doch die Filmemacher schauen näher hin und decken Widersprüche auf. In unaufdringlichen Gesprächen, aber auch in eindrucksvollen Bildern vom Ausmaß der Sinisierung unter der chinesischen Dominanz in allen gesellschaftlichen Bereichen, wird Tibet realistisch nahe gebracht, ohne dass der Film jemals Gefahr läuft, ins Agitatorisch-Plakative abzugleiten. Es ist ein sensibler Film, bei dem sich die Autoren zurückhalten und die Menschen zu Wort kommen lassen; Tibeter wie Chinesen.
Klemens Ludwig

KINOZEIT
Ein filmischer Reisebericht aus Tibet
Seit den Aufständen der vergangenen Monate ist Tibet wieder einmal ins Zentrum des Interesses der Weltöffentlichkeit gerückt. Es kommt zu Appellen, Beschlüssen, Resolutionen, zu Aufrufen, die letzten Endes doch nichts bringen werden, da sie – wie stets – mit dem Hinweis auf die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zu China, meist nur Absichtserklärungen sind. Wie es im Innern Tibtes aussieht, weiß niemand, da alle ausländischen Journalisten während der Unruhen ausgewiesen wurden. Trotzdem: Das Interesse an dem Land, das auch das Dach der Welt genannt wird, ist riesig, politisches Bewusstsein mischt sich mit Phantasien, mit Glorifizierungen, mit Träumen von spiritueller Klarheit, die in unserer westlich geprägten Welt nicht mehr erlebbar ist.

Die beiden Freiburger Studenten Marco Keller und Ronny Pfreundschuh waren im Herbst des Jahres 2004 drei Monate lang in Tibet unterwegs und haben ihre Reise heimlich mit der Kamera dokumentiert – in einer Zeit also, als die Aufstände der jüngsten Zeit noch in weiter Ferne lagen. Trotzdem bekommt man einen guten Eindruck davon, auf welche Weise die Chinesen Einfluss auf Land und Leute nehmen. Oft sind es Szenerien, die aus dem fahrenden Auto heraus gefilmt wurden, was einerseits der Illegalität des Films geschuldet sein dürfte, andererseits den Eindruck eines Road Movies verstärkt. Sie zeigen Szenen aus dem Alltag der Tibeter, zeigen quasi im Vorübergehen eine Aktion, mit der die Chinesen bis zum Jahre 2010 Hochchinesisch zur alleinigen Landessprache machen wollen, sie illustrieren die Gegensätze zwischen Tradition und eilig vorangetriebener Industrialisierung und Erschließung des Landes.

Ruhig und bedächtig ist der Film geworden, wie bei einem Puzzle ergeben sich immer wieder Ausschnitte, die sich erst bei genauerem Hinsehen zu einem Gesamtbild zusammenfügen. Wo die Sympathien der beiden Freiburger liegen, das ist dem Film deutlich anzumerken, auch wenn sich Marco Keller und Ronny Pfreundschuh mit offenen Statements merklich zurückhalten. Doch die Bilder eines Flüchtlingslagers in Katmandu sprechen Bände, ebenso die Allgegenwärtigkeit der Chinesen im Straßenbild und die Subtilität der Maßnahmen, die den Anspruch Chinas, Befreier und nicht Besatzer Tibets zu sein, konterkarieren. Die verschiedenen Interviews, die die meist zufällig gefundenen Eindrücke ergänzen und vertiefen, entstanden unter größten Sicherheitsmaßnahmen und werden dort politisch und konkret, wo es die Bilder nicht sein können. Doch es kommen keineswegs nur Tibeter zu Wort, sondern auch Chinesen, deren Bild der Lage naturgemäß ein ganz anderes ist. Sie preisen die Fortschritte, die die Zivilisation des Landes machen, die von den Tibetern als Gefährdung und Unterdrückungsmaßnahmen wahrgenommen werden. Auf diese Weise entsteht ein stimmiges Bild der Lage, das jenseits der aktuellen Entwicklungen das Dilemma verdeutlicht, in dem sich Tibet befindet.

Gerade deswegen aber ist Die Roten Drachen und das Dach der Welt ein wichtiges Dokument einer Kultur zwischen Tradition und Moderne, zwischen Spiritualität und Unterdrückung. Vielen Tibetern bleibt angesichts der unvereinbaren Widersprüche nur noch der mühsame Weg ins Exil – ein Weg, den mancher von ihnen nicht überlebt.
Joachim Kurz

Casablanca
„Wir kamen wie die Chinesen und gingen wie die Flüchtlinge" - das dokumentarische Roadmovie der beiden Freiburger Marco Keller und Ronny Pfreundschuh ist nicht nur das hochaktuelle Dokument einer dreimonatigen Reise im klapprigen Geländewagen durch Tibet von Norden nach Süden, sondern wurde, dank moderner Kameratechnik, heimlich und ohne Drehgenehmigung aufgezeichnet.

Kinomatch, Die Publikumsmeinung
Die roten Drachen und das Dach der Welt
Zwei junge Filmemacher reisten ohne Drehgenehmigung durch China und Tibet. Sie brachten einen Film mit, der Chinesen wie Tibeter zu Wort kommen lässt und damit die plakative Agitation vermeidet.

Ein spannendes Projekt ist das, und das Ergebnis kann sich durchaus sehen lassen. Es gibt zwar viele Filme über Tibet, doch die Tonalität des Dokumentarfilms von Marco Keller und Ronny Pfreundschuh ist schon einzigartig. 

Frankfurter Rundschau
Reisebericht aus Tibet
Mosaiksteine am Wegesrand
Nachdem die Geschichte Tibets unter der chinesischen Okkupation lange nur in Fachkreisen diskutiert wurde, steht das Thema mittlerweile weltweit auf der Tagesordnung. Nicht selten gehen dabei Menschenrechtsfragen und Legendenbildung Hand in Hand: Zum einen, weil die Abschottungspolitik der chinesischen Behörden der Spekulation neue Nahrung gibt, zum anderen, weil die Sehnsüchte der Zivilisationsmüden schon immer gerne ins tibetische Hochland führten. Aus dem Blickwinkel mancher Esoteriker setzt die chinesische Spielart des Raubtier-Kapitalismus nur die Verwüstungen der Kulturrevolution unter anderem Namen fort.

Ein Land auf Augenhöhe

In Zeiten politischer Zensur kommt einem Reisebericht, wie ihn Marco Keller und Ronny Pfreundschuh mit "Die roten Drachen und das Dach der Welt" heimgebracht haben, besondere Bedeutung zu. Natürlich konnten sich auch die mit touristischen Visa nach Tibet gereisten Filmemacher nicht frei bewegen, und was sie mit ihrer einfachen Digitalkamera an Mosaiksteinen aufsammeln, ist allein der Zufälligkeit ihrer Reiseroute geschuldet. Dennoch sind sie der tibetischen Wirklichkeit näher als die etablierten Medien: Man sieht die Attraktionen des Landes auf Augenhöhe, taucht in die ebenso karge wie schöne Landschaft ein und wohnt bedrückenden Straßenszenen bei. Sowohl in den spärlichen Erläuterungen wie auch in den Bildern machen die Filmemacher keinen Hehl aus ihrer Zuneigung zur alten tibetischen Kultur und beziehen in diesem Sinne politisch Position. Unbestreitbar stellt die Modernisierung eines rückständigen Gebiets einen gewalttätigen Eingriff dar - gerade in den Städten wirken die Tibeter wie Randfiguren einer radikal veränderten Umgebung.

Wie in Nordamerika

In einem Interview abseits der Wanderroute nennt ein Vertreter der tibetischen Exilregierung die chinesische Zugverbindung nach Lhasa in einem Atemzug mit der Besiedlung Nordamerikas. Dieser Vergleich fasst die Bedrohung der traditionellen tibetischen Lebensweise treffend zusammen und bringt zugleich eine mythologische Komponente ins Spiel, die je nach Standpunkt einen grausamen Völkermord oder eine bedeutende Zivilisationsleistung zum Inhalt hat. Zwischen diesen Polen bewegt sich auch die gegenwärtige Kontroverse zur Tibet-Frage. Keller und Pfreundschuh versuchen zumindest, die Entfernung zwischen ihnen auszumessen.
Michael Kohler

Zeitung Bamberg
Geht über der Altstadt von Lhasa die Sonne auf, um den Potala-Palast in ein zartes Licht zu tauchen, dann entspricht das sicher Klischees, die viele mit der Heimat des Dalai Lama verbinden. Auch der Dokumentarfilm „Die roten Drachen und das Dach der Welt“ transportiert solche Bilder, die den Zauber Tibets zeigen, dazwischen bringt er den Kinobesuchern aber auch andere Facetten aus dem tibetischen Alltag nahe, „der weniger bunt und erhebend ist als die mystifizierenden Vorstellungen des Westens von friedliebenden Mönchen“, wie die Filmemacher Marco Keller und Ronny Pfreundschuh erfahren mussten. Jetzt nutzten sie die besondere Aufmerksamkeit über die Olympischen Spiele, um sich mit ihrem Film für Veränderungen stark zu machen. Ein Porträt, das den Alltag in einem mehr und mehr von Chinesen dominierten Land zeigt, schwebte den beiden vor. Wobei Keller und Pfreundschuh neben Tibetern auch Chinesen zu Wort kommen lassen.

Am Ende zeigten sich viele Kritiker von der Dokumentation mehr als angetan. Das Hamburger Abendblatt schwärmte „unbedingte empfehlenswert“. Unbedingt empfehlenswert ist somit auch ein Kinobesuch, bei dem alle Interessierten mehr über die Enstehung des Films erfahren können. Am Samstag besuchen Keller und Pfreundschuh ab 19 Uhr das Lichtspiel.
Petra Mayer


Filmdienst

Nachdem die Geschichte Tibets unter der chinesischen Okkupation in den letzten Jahren vornehmlich in Fachkreisen diskutiert wurde, hat eine Reihe aktueller Ereignisse das Thema dauerhaft auf die politische Tagesordnung gesetzt. Nicht selten gehen dabei Menschenrechtsfragen und Legendenbildung Hand in Hand, wie indirekt auch eine Interviewpassage aus Marco Kellers und Ronny Pfreundschuhs Dokumentarfilm zeigt: Ein Vertreter der tibetischen Exilregierung nennt darin die mit enormem Aufwand errichtete chinesische Zugverbindung ins tibetische Hochland in einem Atemzug mit der Eroberung des amerikanischen Westens durch europäische Siedler – und dem daraus resultierenden Untergang der indianischen Kultur. Dieser historische Vergleich fasst die Bedrohung der traditionellen tibetischen Lebensweise treffend zusammen und bringt zugleich eine mythologische Erzählung ins Spiel, die, je nach Standpunkt, einen grausamen Völkermord oder eine bedeutende Zivilisationsleistung zum Inhalt hat. Zwischen diesen Polen bewegt sich die gegenwärtige Kontroverse zur Tibet-Frage, wobei die zu Recht viel gescholtene Abschottungspolitik der chinesischen Behörden der Spekulation verlässlich neue Nahrung gibt.

In Zeiten politischer Zensur kommt einem Reisebericht, wie ihn die Regisseure aus Tibet heimgebracht haben, besondere Bedeutung zu. Natürlich konnten sich auch die mit touristischen Visa nach Tibet gereisten Filmemacher nicht frei bewegen, und was sie mit ihrer einfachen Digitalkamera an Mosaiksteinen aufsammeln, ist allein der Zufälligkeit ihrer Reiseroute geschuldet. Dennoch kommen sie der tibetischen Wirklichkeit näher als die etablierten Medien: Man sieht die klassischen Attraktionen des Landes aus etwas anderer Perspektive, taucht in die ebenso karge wie schöne Berglandschaft ein, begegnet in einem Kleinkind einem wiedergeborenen Lama und wohnt bedrückenden Straßenszenen mit betrunkenen Arbeitslosen bei. Sowohl in den spärlichen Erläuterungen als auch in den Bildern machen die Reisenden keinen Hehl aus ihrer Zuneigung zur tibetischen Kultur und beziehen in diesem Sinne politisch Position. Unbestreitbar stellt die Modernisierung eines rückständigen Gebiets einen gewalttätigen Eingriff dar – vor allem in den Städten wirken die Tibeter wie Randfiguren einer radikal veränderten Umgebung.

Die Tibet-Frage wird im Westen auch deswegen so dringlich verhandelt, weil sich die Sehnsüchte und Fantasien der Zivilisationsmüden bevorzugt zum Dach der Welt geflüchtet haben: Aus dem esoterischen Blickwinkel wirkt die chinesische Form des Raubtier-Kapitalismus wohl nur wenig besser als die Verwüstungen der überwundenen Kulturrevolution. Keller und Pfreundschuh halten sich hier mit ihrem Urteil weitgehend zurück, wie sie auch in den Interviews abseits der Wanderroute, etwa mit dem Dalai Lama, das Dogmatische meiden. Trotzdem erscheint das Konzept, die Aussagen zufälliger und weniger zufälliger Reisebekanntschaften zu einem Kommentar zu verknüpfen, nicht durchweg gelungen. Zu oft werden bekannte Positionen lediglich in ungelenken Worten wiederholt und historische Zusammenhänge stark verkürzt wiedergegeben. Am eindrucksvollsten ist der Film, wenn die Alltagsbilder sprechen. Deren aktueller Nachrichtenwert mag zwar begrenzt sein, doch öffnen sie die Augen für die nicht nur durch Zensurmaßnahmen, sondern auch durch hartnäckige Legendenpflege verborgene tibetische Normalität.
Michael Kohler

CHOICES
Die roten Drachen und das Dach der Welt

Marco Keller nähert sich in seinem Dokumentarfilm Tibet nicht durch die verträumt romantische, westliche Sicht. Über Pilgerströme begibt er sich ins Detail, hält den Alltag der Mönche fest, interviewt Tibeter und Chinesen und reißt die Konflikte an: Kolonialisierung, Flucht, Exil. Keller betreibt ein Stück weit Entmystifizierung und zeigt, was heute von Tibet übrig ist.
(he)

Hamburger Abendblatt
Unterdrücktes Tibet
Dokumentation Marco Kellers und Ronny Pfreundschuhs "Die roten Drachen" zeigt das Leben auf dem Dach der Welt

Schmucklose Betonwohnhäuser, von Menschen überquellende Einkaufsstraßen, überall riesige Transparente und ein Verkehrschaos. Würde über allem nicht die beeindruckende Kulisse des Potala-Palasts aufragen, könnte man Lhasa für eine normale chinesische Provinzstadt halten.

Drei Monate lang waren die beiden Freiburger Marco Keller und Ronny Pfreundschuh im Herbst 2004 in der Hauptstadt Tibets unterwegs, um den Alltag auf dem Dach der Welt kennenzulernen. In dieser Woche kommt ihr Film "Die roten Drachen und das Dach der Welt" gerade zum richtigen Zeitpunkt ins Kino: Er zeigt Bilder aus einem Land, das einer rasend schnellen Modernisierung unterzogen wird und in dem sich die Tibeter selbst nur noch wie eine pittoreske Minderheit vorkommen.

Noch immer vollziehen gläubige Buddhisten vor Tempeln und Stupas die rituellen Niederwerfungen. Im Gewühl der Einkaufsstraßen mischen sich ländliche Pilger mit modern gekleideten Angestellten und jungen Familien. Aber aus Lautsprechern tönen Ansagen wie "Wir verlangen Hochchinesisch".

Ein Tibeter erzählt, nur zwei Kinder pro Familie seien den Einheimischen erlaubt. Zwar dürfen die Klöster eine begrenzte Zahl von Nonnen und Mönchen aufnehmen, aber sie müssen sich einer chinesischen "patriotischen Erziehung" unterwerfen.

Zahlreiche Tibeter versuchen trotz eines Ausreiseverbots, über die Schneepässe des Himalaja nach Nepal und weiter nach Indien zu gelangen, um den Dalai Lama zu besuchen. Ein Weg, auf dem chinesische Militärpatrouillen schon warten - für etliche Flüchtlinge endet der Versuch tödlich.

Keller und Pfreundschuh filmten ohne Drehgenehmigung, zum Teil mussten sie die Gesichter ihrer Interviewpartner ausblenden.

Ihr Film ist kein ausgefeilter, aufwendig nachbereiteter Dokumentarfilm. Aber er vertieft sehr anschaulich das Verstän dnis für die Gegensätze, die derzeit in Tibet aufeinanderprallen und sicher noch für lange Zeit für politischen Zündstoff sorgen werden.
Irene Jung


Mit versteckter Kamera aufgenommene Bilder aus Tibet
Die Macher des Filmes «Die roten Drachen und das Dach der Welt» berichteten in Nürnberg über ihre Dreharbeiten

NÜRNBERG - Heimkehr der Bilderschmuggler: Mit der versteckten Kamera reisten zwei Freiburger durch Tibet, um die Wahrheit über das Land jenseits von Klischees und Vorurteilen kennenzulernen. Jetzt stellten sie ihren Film «Die roten Drachen und das Dach der Welt» im Cinecittà vor.


Spätestens seit dem Ausbruch der Unruhen hat wohl jeder ein Bild von Tibet im Kopf. Meist ein vages Bild, von orange gekleideten Mönchen und uniformierten Chinesen, die in karger Landschaft zur beispielhaften Konfrontation zwischen Spiritualität und Materialismus anzutreten scheinen.

Wissen, wie Tibet wirklich ist

«Wir wollten wissen, wie Tibet wirklich ist - uns ein eigenes Bild machen», erklären Marco Keller und Ronny Pfreundschuh, die an der Freiburger Hochschule für Pädagogik arbeiten. Wann genau sie in Tibet waren, wollen sie nicht sagen - um ihre oft anonymen Interviewpartner zu schützen, die Angst vor Gefägnis und Folter haben.

Es war aber zur Zeit des Baus der Eisenbahn nach Lhasa, als die beiden Deutschen mit versteckter Kamera und ohne offiziellen Führer (was inzwischen nicht mehr möglich ist) über China nach Tibet fuhren.

«Uns war es wichtig, auch China kennenzulernen und mit Chinesen zu sprechen», meint Pfreundschuh. «Wir wollten keine Schwarz-Weiß-Malerei machen, denn wir haben in China viel echte Herzlichkeit erlebt!» Und so nimmt man es den Chinesen im Film auch durchaus ab, dass sie nicht in diesen unwirtlichen Landstrich mit der dünnen Luft gekommen sind, um die Tibeter zu ärgern, sondern um hier für das Wohl des Vaterlandes zu arbeiten und die Situation vor Ort zu verbessern.

Mönche per Video überwacht

Wir sehen aber auch die andere Seite: Eine Frau, die 15 Jahre im Gefängnis war, weil sie öffentlich für den Dalai Lama Stellung bezog, eine chinesische Journalistin, die einem kleinen Jungen vorspricht, was er in die Kamera sagen soll: «Unser Land braucht eine starke Verteidigung!». Und man sieht Mönche, die bei ihren rituellen Diskussionen per Video überwacht werden. Am schockierendsten sind die Bilder tibetischer Flüchtlinge, die zu Fuß über die Schneeweiten des Mount Everst laufen, um das Land zu verlassen - und dann von chinesischen Scharfschützen niedergeschossen werden.

«Wir sagen nicht: So ist Tibet», betont Marco Keller am Ende des Films. «Aber: das ist Tibet wie wir es gesehen haben.» Am Ende ihrer Reise sind die beiden Männer überzeugt: «Es muss sich etwas ändern. Und vielleicht bietet sich durch die Olympischen Spiele die Chance dazu - wenn die internationale Aufmerksamkeit bleibt und wächst.»

Peter Romir

Hamburger Abendblatt
Einblicke Zwei deutsche Filmemacher haben den Alltag in Tibet festgehalten - eine Reise ins Detail
Ein Land im Griff des roten Drachen

Modernisierungsdrang und Machtanspruch Chinas drohen die jahrhundertealte Kultur des Berglandes vollends zu verdrängen. Abendblatt-Autorin Irene Jung über einen aufschlussreichen Dokumentarfilm und das Tibet von heute.
In dem verwitterten buddhistischen Kloster ist ein Raum besonders liebevoll hergerichtet: Holzwände in freundlichen Farben, Schonbezüge auf den Stühlen. Auf einem Sessel thront ein etwa vierjähriges Kind in quietschgelber Jacke und spielt mit einer kleinen Plüschkatze. Der Junge gilt als Reinkarnation eines wichtigen Lamas, ist also schon jetzt ein spiritueller Lehrer. Erstaunt betrachtet das Kind die Besucher, die aus dem fernen Westen gekommen sind, die Besucher blicken staunend zurück. Gesagt wird nichts.


Die Szene aus dem Dokumentarfilm "Die roten Drachen und das Dach der Welt" wirkt wie ein Schlüssel zum Verhältnis des Westens zu Tibet: Verwundert und mitfühlend ist unser Blick auf dieses fremdartige Land der Sechstausender. Aber was sich jenseits der Jurtenromantik im Alltag der Tibeter abspielt, bleibt Ausländern weitgehend verborgen. Der kleine Lama zum Beispiel lebt im benachbarten Nepal - in Tibet werden selbst die Reinkarnationen staatlich kontrolliert.

Mit Rucksäcken und normalen Digital-Filmkameras sind die Freiburger Filmemacher Ronny Pfreundschuh (28) und Marco Keller (31) durch Tibet gereist, per Bahn, zu Fuß und in klapprigen Lkw. Sie befragten Mitreisende, tibetische Pilger, Dorfbewohner und Mönche, chinesische Touristen und Offizielle - so gut es mithilfe spontaner Übersetzer ging. Das war Ende 2004, die Unruhen in Tibet Anfang März 2008 haben sie nicht erlebt.

Aber ihre Bilder und Gespräche machen begreifbar, was sich in Tibet vollzieht: der Zusammenprall eines lange isolierten Berglandes mit dem ehrgeizigen Modernisierungsdrang eines Global Players; der Konflikt zwischen Glauben und Rationalismus, zwischen Tradition und Propaganda.

Zum Beispiel in Lhasa. Zu Füßen des imposanten Potala-Palastes stoßen die Filmemacher auf eine chinesische Militärmaschine, Teil einer offiziellen Ausstellung zur "Landesverteidigung". Im Stadtzentrum quält sich ein Team des chinesischen Staatsfernsehens gerade mit einer Straßenumfrage zum selben Thema ab. Mangels begeisterter Antworten wird sogar ein Kind gefragt, ob es nicht stolz sei auf so viel Sicherheit.

An einer anderen Ecke stehen tibetische Schulkinder aufgereiht vor einem Spruchband: "Im Jahr 2010 sprechen wir alle Hochchinesisch!" Wenn Tibeter einkaufen oder bei der Bank etwas einzahlen, müssen sie chinesisch sprechen, Formulare in tibetischer Sprache gibt es nicht. Briefe müssen chinesisch beschriftet sein, sonst werden sie nicht zugestellt.

In mühevoller Nacharbeit ließen Keller und Pfreundschuh Plakate und Interviews in Deutschland von Chinesen und Tibetern übersetzen. Und dabei gab es einige Überraschungen. Auf einem Spruchband in Lhasa stand: "Vergesst nicht, dass wir hier sind, um euch zu überwachen!" "Wir haben bei unserem chinesischen Übersetzer nachgefragt", sagt Ronny Pfreundschuh, "es heißt tatsächlich bewachen und nicht beschützen. Er war selber ganz schockiert. Er hatte nicht geglaubt, dass ein Spruchband drohend klingen sollte."


Keller und Pfreundschuh reisten mit der Lhasa-Bahn ins Land, die Peking seit 2006 mit Tibets Hauptstadt verbindet. Gebaut wurde die Bahntrasse ausschließlich von chinesischen Arbeitskräften. Heute verkehren bis zu acht Züge pro Tag in jeder Richtung. Im Sommer bringen sie Schätzungen zufolge täglich 2000 bis 3000 Immigranten aus China nach Tibet.

Modernisierungsdrang und Machtanspruch Chinas drohen die jahrhundertealte Kultur des Berglandes vollends zu verdrängen. Abendblatt-Autorin Irene Jung über einen aufschlussreichen Dokumentarfilm und das Tibet von heute.
"Die meisten sind verarmte Glückssucher, die durch Chinas drastische Urbanisierungspolitik von ihrem Land vertrieben wurden", schreibt die tibetische Exilregierung in einem Bericht aus diesem Jahr. "Sie sind entschlossen, jede mögliche Nische zu besetzen, und verdrängen Tibeter selbst vom kleinen Straßenhandel."

Im Film zieht Kelsang Gyaltsen von der Exilregierung die Parallele zur Erschließung Nordamerikas: Auch dort brachte die Eisenbahn Tausende "Pioniere" in den Wilden Westen, um Land zu besiedeln - ohne Rücksicht auf die Urbevölkerung und ihre Kultur.
Schon Maos Nachfolger Deng Hsiao Ping war 1987 überzeugt: "Tibet kann sich nicht allein entwickeln"; man brauche "eine große Zahl von Han-Genossen", um Know-how nach Tibet zu bringen und "Tibets Arbeitskräfte zu trainieren". Heute wird die Ansiedlung von Chinesen gezielt mit dem "Hukou-System" gefördert. Diese Registrierungsvorschrift in China soll vor allem die unkontrollierte Stadtflucht von Bauern eindämmen. Arbeiter und Bauern bekommen überall in China sofort einen Hukou für tibetische Städte - Tibets Landbevölkerung hingegen bleibt davon ausgeschlossen, heißt es im Bericht zur "Lage der Menschenrechte in Tibet" 2003/4. Auf dem privaten Wohnungsmarkt in den schnell wachsenden Städten gelten Tibeter vom Lande als Mieter zweiter Klasse, als Habenichtse.


Und die Klöster? Von 6259 Klöstern mit einer halben Million Mönche und Nonnen, die es noch 1959 in Tibet gab, wurden während der Kulturrevolution rund 6000 zerstört. Inzwischen hat man einige der erhaltenen zum Teil aufwendig restauriert, denn sie sind der Touristenmagnet. Junge Mönche, die im Film unkenntlich bleiben müssen, erzählen, wie streng diese zugelassenen Klöster kontrolliert werden.

KP-geführte Komitees regeln die begrenzte Aufnahme von Mönchen und Nonnen, die Klosterfinanzen und sogar, welche Feste gefeiert werden dürfen. Novizen müssen sich einer "patriotischen Erziehung" unterwerfen. Dazu gehört die Abkehr von der "Verehrung des Dalai Lama", stattdessen "Liebe zum großen Mutterland". Beides ist mit dem Anspruch innerer Befreiung, der Kernidee auch des lamaistischen Buddhismus, nicht vereinbar.

Gegenüber den sensibel montierten O-Tönen im Film wirkt die chinesische Propaganda wie eine bunte Lärmkulisse. Sie soll vor allem die große Mehrheit der Han-Chinesen davon überzeugen, dass in der armen Westprovinz viel Gutes getan wird. Und auf den ersten Blick stimmt das ja auch.

China argumentiert, dass es Tibet 1959 aus "mittelalterlicher feudaler Sklaverei" befreit habe. Richtig ist, dass es in Tibet in den 50er-Jahren kein weltliches öffentliches Bildungssystem für die breite Bevölkerung gab. Die medizinische Versorgung beschränkte sich auf traditionelle Heilmethoden.

Aber jeder Fortschritt hat zwei Versionen.

Nach offiziellen chinesischen Angaben gibt es heute in Tibet 4360 Schulen aller Grade, darunter 4250 Primar- und vier Hochschulen. Allerdings können die Schulgebühren pro Jahr mehrere Monatsgehälter betragen. Tibetische Flüchtlingskinder berichten von einer hohen Abbrecherquote und von Benachteiligung gegenüber chinesischen Mitschülern. Zahlen über tibetische Absolventen sind nicht verfügbar.
Offiziell gab es Ende 2006 in Tibet 903 Gesundheitseinrichtungen, darunter 763 Krankenhäuser und Sanitätsstationen. Allerdings: Die Behandlung ist nicht kostenlos. Wer nicht genug Geld hat, werde abgewiesen, berichten Tibeter. Viele Erwachsene haben noch nie im Leben einen Arzt gesehen.

Die Säuglingssterblichkeit in Tibet sank nach offiziellen Angaben seit 1959 von damals 430 auf heute 24,3 pro tausend Geburten. Erstaunlich: Diese Zahl entspricht dem Landesdurchschnitt. Ärzte und Expertenkommissionen, die Tibet besuchen durften, halten sie für völlig unglaubhaft in einem Land, in dem mehr als 80 Prozent der Einwohner als Nomaden oder auf Dörfern in entlegenen Hochgebirgsregionen leben. Sie berichten im Gegenteil von einer erschreckend hohen Mütter- und Säuglingssterblichkeit und einer Zunahme von Tuberkulose.

Stolz teilt Peking mit, dass es in Tibet jetzt auch eine Renten-, Kranken- und Berufsunfallversicherung sowie den Mutterschutz eingeführt hat. Es gibt aber keinerlei Angaben, ob und wie viele ländliche Tibeter davon profitieren.

Modernisierungsdrang und Machtanspruch Chinas drohen die jahrhundertealte Kultur des Berglandes vollends zu verdrängen. Abendblatt-Autorin Irene Jung über einen aufschlussreichen Dokumentarfilm und das Tibet von heute.
Trotz aller "Modernisierungs"-Kampagnen ist der gewünschte Erfolg bisher auch ausgeblieben. Nach dem "China Human Development Report 2005" der Uno, an dem chinesische Experten mitarbeiteten, ist Tibet heute noch das Schlusslicht aller Provinzen in Sachen Gesundheit, Bildung und sozialer Sicherung. Die Lebenserwartung der Tibeter, mit 65 Jahren die niedrigste in China, liegt zehn Jahre unter der in anderen ländlichen Regionen. Die Analphabetenrate ist mit 47 Prozent (Frauen: über 60 Prozent) landesweit die höchste. Und die offiziellen Arbeitsbeschaffungsprogramme zielen nicht auf Tibeter, sondern auf qualifizierte Verwaltungskräfte und Hochschulabolventen - Chinesen.

"Die roten Drachen und das Dach der Welt" läuft im Hamburger Abaton-Kino.

Irene Jung, erschienen am 19. Mai 2008


Vor dem Potala Palast in Lhasa weht die chinesische Flagge

Kelsang Gyatso, der 14.Dalai Lama im Interview. Einer von vielen Gesprächspartnern...

Etwas Religionsfreiheit ist geblieben. Ein Mönch rezitiert religiöse Schriften am Jokhang Tempel in Lhasa.

Die tibetische Nonne Phuntsok Nyidron musste 15 Jahre ihres Lebens als politische Gefangene im Gefängnis verbringen

Ein immer seltenerer Anblick. Zeremonie in Tibet.

Dieser Junge, eine wichtige Wiedergeburt, wird von Mönchen in einem kleinen Kloster aufgezogen

Touristenattraktion. Ein Mädchen tanzt auf Lhasa´s Straßen. 

Rohstoffe. Transportzüge umfahren die Autonome Region Tibet. 

Tibetische Traditionen in einem Exil Kloster in Nepal.