Die einem Einzelnen zugefügte Ungerechtigkeit ist eine Bedrohung für uns alle

 

 

 

Das Tibet-Filmprojekt

Aus den Ergebnissen einer mehrmonatigen Recherchereise durch die Länder China, Tibet und Nepal soll eine Videodokumentation entstehen. 


Kulturaustausch: Wir sitzen mit tibetischen Mönchen auf einem heiligen Hügel, direkt am Potala Palast.
Hintergrund:
Im Januar 2004 beginnen die Vorbereitungen für ein spannendes, aber auch gefährliches Filmprojekt: Fünf Studierende der Pädagogischen Hochschule und der Universität Freiburg planen eine mehrmonatige Asienreise mit dem Schwerpunkt Tibet. Die heutige Menschenrechtslage des tibetischen Volkes soll dabei dokumentiert werden. 
Trotz einer Umfangreichen Vorrecherche und einem ausführlichen Konzept, lassen sich nur wenige für das Projekt begeistern und so erweist sich die Sponsorensuche (für das Filmequipment) als äußerst schwierig.

Am meisten Unterstützung findet das Projekt bei dem Freiburger Tibet Haus ( Kailash Institut). Der Leiter des Hauses, Wilfried Pfeffer stellt uns wesentliche Kontakte her und hilft u. a. bei den Reisevorbereitungen. 
Finanzielle Unterstützer erhielten wir beim UASTA und dem Eine-Welt-Referat (beide von der Pädagogischen Hochschule Freiburg). "Zweitee" und viele andere Freunde leisten weitere wichtige Beiträge.

Die Reise
Eindrücke von Marco Keller

Wir starten eine einzigartige Reise, die ihren Anfang in Hong Kong nimmt. Denn im ersten Reiseland, China sollen die Vorarbeiten für das Filmprojekt beginnen: Wir wollen uns ein genaues Bild von der chinesischen Gesellschaft machen. Wir reisen deshalb von Hong Kong über verschiedene Großstädte (u. a. Xian und Peking) um uns fünf Wochen später der Grenze in die sog. Autonome Region Tibets zu nähern. Während dieser Zeit finden bereits erste Interviews mit Chinesen statt. Wir interviewen Einheimische, aber auch Professoren zu verschiedenen Themen bei der Tibetfrage.

Beim Namco Lake (einem riesigen Salzsee) 
findet ein gewaltiges Naturschauspiel statt. 
Ein Schneesturm bahnt sich an... 

Trotz wesentlicher Kommunikationsschwierigkeiten (in China sprechen nur wenige Englisch), erweisen sich die Chinesen als überaus gastfreundliche und hilfsbereite Menschen. Vom chinesischen Mao-Sozialismus fehlt beinahe jede Spur. Stattdessen erleben wir Kapitalismus u. a. in Form von neuen Städtezentren mit rießigen Einkaufsmeilen, die wie Pilze aus dem Boden schießen. China ist im Bauboom mit seiner sozialistischen Ein-Parteien-Regierung. Eine Regierung, die man als Chinese besser nicht in Frage stellen sollte.


Nur noch selten und mit viel Glück findet man in Tibet Mönche, die den tibetischen Buddhismus in seiner reinsten Form praktizieren. Diese Mönche treffen wir in einem Hinterhof eines Bauernhauses. 
Nach mehreren Reisewochen befinden wir uns in ehemals tibetischen Regionen. Die Recherche vor Ort wird immer schwieriger und gefährlicher. Trotzdem können wir bereits hier erste Kontakte zu Tibetern knüpfen und besuchen mehrere traditionelle Religionsstätten. Offiziell reisen wir als touristische Studentengruppe um auf gar keinen Fall die Aufmerksamkeit der chinesischen Behörden auf uns zu lenken. Das ist nicht immer einfach. 
Im Gepäck haben wir stets eine semiprofessionelle Videokamera, Mikrofone, Stative und eine kleine Backupkamera. 12 Kilo Filmequipment, die uns Tag und Nacht begleiteten und eine Kopierstation, die regelmäßig alle Aufnahmen sicherte.
Um keine chinesischen und tibetischen Interviewpartner zu gefährden, weiß deshalb niemand, mit welchem Vorhaben wir unterwegs sind. Die Sicherheit unserer Interviewpartner war oberste Priorität und einige Interviews waren deshalb auch nur anonym möglich.

Grenzüberschreitung in die autonome Region Tibets. Bis hier hin verlief die Reise ohne Schwierigkeiten durch die chinesischen Behörden. Jetzt wird es allerdings ernst. Die einzige Möglichkeit, um sich individuell als Tourist in Tibet zu bewegen, ist eine Grenzüberschreitung bei Golmud. Dabei handelt es sich um eine relativ unbeliebte Tagestour mit dem Bus direkt nach Lhasa. Die meisten Touristen bevorzugen den Flug von Kathmandu (Nepal) nach Lhasa.


In dieser Gegend, über 5000 Meter fällt selbst im Sommer das Überleben schwer. Die Tibeter erleben in dieser scheinbar lebensfeindlichen Gegend viel Spiritualität.
Wir verbringen ein paar Tage in Golmud und finden eine Möglichkeit, eine dreitägige Tour mit einem Jeep zu buchen. Die Tour bietet uns interessante Aufenthaltspunkte, die normalerweise für Touristen tabu sind. Wir nehmen das Angebot an. 
Nach einer halben Tagesreise überschreiten wir in Amdo die offizielle Grenze. Mit dem Jeep ist es uns möglich, viele Filmstops einzulegen. Die Berglandschaft ist überwältigend. Von zwei kleinen tibetischen Städten können wir uns ein genaueres Bild machen und durch Zufall entdecken wir dabei zwei traditionelle Klöster. 

Außerdem dokumentieren wir den Bau der Eisenbahnstrecke von Golmud nach Lhasa und stellen fest, dass die Strecke bereits bis kurz vor Amdo von Bau- und Transportzügen befahren wird. Das entspricht ungefähr der Hälfte der geplanten Gesamtstrecke. 


Ein Griff in den Himmel und man berührt die Wolken. In Tibet wird dieser Traum Wirklichkeit.
Der frisch aufgeschüttete Eisenbahndamm ist dagegen schon bis Lhasa fertiggestellt. Es ist davon auszugehen, dass mit der neuen Eisenbahnlinie noch mehr Chinesen nach Tibet übersiedeln. Die Tibeter sind bereits jetzt schon zur Minderheit im eigenen Land geworden.

Nach drei Tagen erreichen wir Lhasa. Was uns hier begegnet ist alles andere als das Bild der traditionellen, sagenumwobenen Hauptstadt Tibets. Das Bild Lhasa´s hat sich längst gewandelt. Überall finden sich moderne Einkaufsmeilen, Bürotürme und Banken - ganz im Stile moderner chinesischer Architektur. 

Die Stadt wirkt beinahe wie jede andere chinesische Metropole. Chinesische Schrifttafeln bedecken die gesamte Stadt, denen die tibetische Schriftsprache erschreckend klein untergeordnet ist. Außerdem begegnet uns eine für chinesische Verhältnisse überdurchschnittlich große Polizei- und Militärpräsens. 

Die chinesischen Besatzer haben ganze Arbeit geleitstet. Nur der prachtvolle Potala Palast will sich diesem Stadtbild nicht so richtig anpassen. Genauso wenig wie die tibetischen Stadtbewohner und Pilger. Ihre ständigen Gebete, die sie durch Rosenkränze und Gebetsmühlen wiedergeben, sprechen eine eindeutige Sprache.
Wir bleiben vierzehn Tage in der von Chinesen und Tourismus geprägten Metropole und erleben am meisten Tradition und Spiritualität am Jokhang Tempel. Der Tempel und das Stadtviertel um ihn herum wirken auf uns wie das wahre Herz der tibetischen Metropole. Hier treffen sich viele Pilger und an diesem Ort scheint der tibetische Buddhismus noch kräftig zu pulsieren.  


Der Jokhang Tempel (im Hintergrund) ist für viele Pilger die Hauptanlaufsstelle in Lhasa. Die Chinesen und Touristen schätzen hingegen die Fastfoodkette "Dicos" (im Vordergrund).

Doch der Tempel selbst, ist wie viele andere Religionsstätten zu einem Museum geworden, für das man viel Eintritt bezahlen muss. Nach den Zerstörungen beinahe aller Klöster (während der chinesischen Kulturrevolution), hat die Regierung einige Anstrengungen unternommen, um die heiligen Orte wieder aufzubauen und im neuen Licht erscheinen zu lassen. Allerdings wurde darauf geachtet, dass der tibetische Buddhismus in seiner traditionellen Form nicht weitergelehrt werden kann. In die Lehren Buddhas können sich nur jene vertiefen, die ein Mindestalter von 18 Jahren erreicht haben, die Mao-Bibel wiedergeben und dem 14.Dalai Lama abschwören. Die chinesische Regierung wählt sehr sorgfältig zwischen den angehenden Mönchen und Nonnen aus. Sicherheitshalber wird sie auch durch ein Heer von Spitzeln direkt in den Klöstern vertreten. Der tibetische Buddhismus als Lehrform befindet sich dort auf einem absoluten Tief.


Kulturbegegnung: vor dem Potala Palast steht ein abgeschriebener Kampfjet der chinesischen Regierung. Die tibetischen Pilger wissen nicht so recht genau, was sie von dem bedrohlichen Stahlvogel halten sollen. 
Wir Verlassen Lhasa mit gemischten Gefühlen, zum einen war es trotz allem eine sehr beeindruckende und spirituelle Stadt, die uns tief berührt hat. Zum anderen haben wir eine völlige Ohnmacht und Hilflosigkeit erlebt. Vieles was mit tibetischer Religion, Kultur und Geschichte zu tun hat, muss ständig Tabuisiert werden. Überall herrscht Misstrauen und niemand weiß so recht, wieviel er dem anderen erzählen kann. 
Auf den ersten Blick wirkt die chinesisch hochpolierte Fassade Lhasa´s wie eine Renaissance der tibetischen Metropole. Doch bereits beim zweiten Blick beginnt das Bild zu bröseln und zeigt die vielen tiefen Gräben, die zwischen Tibetern und Chinesen liegen.

Unsere weitere Route (nach Nepal) führt uns über den Himalaya, direkt zum Mount Everest. Neben vielen anderen Pilgerstätten, besuchen wir dort abschließend das höchste Kloster der Welt auf über 5000 Metern. Dort bleibt kaum Zeit, um etwas in sich setzten zu lassen. Das nächste Etappenziel war dafür bereits schon viel zu nahe. 
Mit großer Sorge nähern wir uns der nepalesischen Grenze. Einerseits herrscht in Nepal Bürgerkrieg und wir können die aktuelle Sicherheitslage nur ungenau einschätzen. Andererseits müssen wir davor durch die chinesische Staatsgrenze. 


Auch viele abgelegene und scheinbar unberührte Gegenden Tibets werden von Touristenbusse angesteuert. Die heiligen Orte zerfallen zu leblosen Museen.
Das Filmmaterial was wir zu diesem Zeitpunkt haben, ist sehr brisant und würde den chinesischen Grenzbeamten sicherlich nicht gefallen. 
Wir bereisen Nepal mit einem unbeschreibbaren Gefühl der Erleichterung. Nach mehreren Monaten ist es und endlich möglich, über alles zu reden. Keine Internetzensur, keine Telefonspionage, keine Überwachungskameras, keine heimliche Tourismuspolizei, kein Ein-Parteien-Regime, ...
Das erste mal kann man seine Gedanken wieder frei äußern.

Doch das Projekt war noch lange nicht beendet, denn jetzt sollte erst ein weiterer sehr wesentlicher Teil beginnen. Wir wollen mit möglichst vielen Exil-Tibeter in Kontakt treten. Wir besuchen deshalb eine Tibetische Schule und interviewen neben dem Schulrektor auch einige Kinder. Wir sind zu Gast in einem tibetischen Kloster und haben ein sehr interessantes Gespräch mit dem Abt. Zu guter letzt stimmt auch der Direktor des UN-Flüchtlingslagers in Kathmandu einem Interview zu. 

Projektausblick

Videoschnitt ist etwas sehr mühseliges und zeitaufwendiges. 
 
Das Ziel der Reise war eine semiprofessionelle Dokumentation, die hoffentlich schon bald fertig gestellt werden kann.  
 


An einem der höchsten Pässe hängen wir unsere Gebetsfahnen auf. Freunde aus Deutschland haben sie uns mitgegeben und mit ihren Wünschen versehen. Der Wind soll die Gebete in die Welt tragen.


Fotos und Bildkommentare: Marco Keller