Die einem Einzelnen zugefügte Ungerechtigkeit ist eine Bedrohung für uns alle

 

 

 

Mangelnder Fortschritt bei der Einleitung eines Dialogs: Was das Ausbleiben der sino-tibetischen Gespräche betrifft, erklärte der 14.Dalai Lama die gegenwärtige Lage in seiner Rede vor dem Europäischen Parlament am 24. Oktober 2001 wie folgt:

"...unsere Beziehung zur chinesischen Regierung hat viele Drehungen und Wendungen genommen. Sehr zu meinem Bedauern muss ich Ihnen leider mitteilen, dass der fehlende politische Wille seitens der chinesischen Führung, sich der Tibetfrage ernsthaft anzunehmen, jeglichen Fortschritt verhindert hat. Meine Initiativen und Angebote über all die Jahre, die chinesische Führung zu einem Dialog zu bewegen, bleiben unbeantwortet. Im vergangenen September habe ich über die chinesische Botschaft in Neu Delhi unseren Wunsch kundgetan, eine Delegation nach Beijing zu schicken, um dort ein detailliertes Memorandum zu überreichen, in dem meine Überlegungen zur Tibetfrage darlegt werden, und um dort die im Memorandum genannten Punkte zu besprechen. Ich teilte mit, dass es uns durch Begegnungen von Angesicht zu Angesicht gelingen werde, Missverständnisse zu klären und Misstrauen zu überwinden. Ich gab der festen Überzeugung Ausdruck, dass, wenn dies einmal erreicht wäre, wir ohne größere Schwierigkeiten eine für beide Seiten annehmbare Lösung des Problems finden können. Aber die chinesische Regierung weigert sich bis heute, meine Delegation zu empfangen. 

Es ist offensichtlich, dass sich Beijings Haltung im Vergleich zu den 80er Jahren, als sechs tibetische Delegationen aus dem Exil empfangen wurden, wesentlich verhärtet hat. Welche Erklärungen Beijing auch immer zu den Kontakten zwischen der chinesischen Regierung und mir abgeben mag, ich muss hier deutlich feststellen, dass die chinesische Regierung sich weigert, mit den Vertretern zu sprechen, die ich für diese Aufgabe bestimmt habe.Dass die chinesische Führung auf meinen Vorschlag des Mittleren Wegs nicht positiv reagiert hat, bestärkt das tibetische Volk in dem Verdacht, dass die chinesische Regierung nicht das geringste Interesse an einer friedlichen Koexistenz mit uns hat. Viele Tibeter glauben, dass China eine vollständige gewaltsame Assimilierung und Absorbierung Tibets beabsichtigt. Sie fordern die Unabhängigkeit Tibets und kritisieren meinen "Mittleren Weg". Andere befürworten ein Referendum in Tibet. Sie führen an, dass es, wenn die Bedingungen in Tibet tatsächlich so sind, wie die chinesische Führung es darstellt, und wenn die Tibeter wirklich glücklich sind, keine Schwierigkeit sein dürfte, dort ein Plebiszit abzuhalten. Ich war auch immer dafür, dass letztlich die Tibeter selbst über die Zukunft Tibets entscheiden sollten, so wie es auch Pandit Jawaharlal Nehru, der erste Premierminister Indiens, am 7. Dezember 1950 vor dem Indischen Parlament erklärt hat: "Die letzte Instanz zu Tibet sollte die Stimme des tibetischen Volkes sein und niemand sonst." In Abwesenheit einer positiven Antwort der chinesischen Regierung auf meine Angebote all die Jahre bleibt mir keine Alternative, als an die Mitglieder der internationalen Gemeinschaft zu appellieren.

Es ist nun eindeutig, dass nur verstärkte, gemeinschaftliche und andauernde internationale Bemühungen Beijing dahin bringen werden, seine Tibetpolitik zu ändern. Obwohl die unmittelbare Reaktion der chinesischen Seite sehr wahrscheinlich negativ sein wird, glaube ich dennoch ganz fest daran, dass Äußerungen internationaler Sorge und Unterstützung unabdingbar dafür sind, eine Atmosphäre zu schaffen, die eine friedliche Lösung des Tibetproblems fördert. Ich für meinen Teil bleibe dem Dialog verpflichtet. Es ist mein fester Glaube, dass Gespräche und eine Bereitschaft, die Wirklichkeit Tibets mit Ehrlichkeit und Klarheit anzuschauen, eine beiden Seiten nutzbringende Lösung herbeiführen kann, die zur Stabilität und Einheit der Volksrepublik China beitragen und das Recht des tibetischen Volkes sichern wird, in Freiheit, Frieden und Würde zu leben.

Die gegenwärtige Politik der verschärften Repression und verstärkten Entwicklungsaktivitäten, die zuerst von dem Dritten Arbeitsforum zu Tibet durchgesetzt und von dem Vierten Arbeitsforum 2001 nachdrücklich empfohlen wurde, ist eine falsche und gefährliche Politik. Es herrscht allgemeine Übereinstimmung, außer in der unnachgiebigen Führung in Beijing, daß diese Politik kurzsichtig ist und auf lange Sicht verheerende Auswirkungen haben wird. Melvyn C. Goldstein, ein Tibet-Gelehrter, der in dem neuesten chinesischen Weißbuch zu Tibet sogar zustimmend zitiert wurde, sagte in der Ausgabe Januar-Februar 1998 von Foreign Affairs: "Viele chinesische Experten und moderat Eingestellte fragen sich, ob die gegenwärtige Politik die lang anhaltende Stabilität, die sich China in Tibet wünscht, bringen wird, denn sie verschlimmert die Entfremdung der Tibeter, sogar der Jugend, und verstärkt ihre Gefühle ethnischen Hasses und politischer Hoffnungslosigkeit und verschärft die Überzeugung, dass die nationalen Bestrebungen der Tibeter nicht erfüllt werden können, solange Tibet Teil der Volksrepublik China ist

Es gibt chinesische Gelehrte in China, die derselben Meinung wie Melvyn Goldstein sind. Wang Lixiong, der Autor des chinesischen Bestsellers "Die Gelbe Gefahr", schreibt in seinem Artikel "Der Dalai Lama ist der Schlüssel zu der Tibet Frage": "Von Chinas Standpunkt aus gesehen, machen diese Gründe die Tibet Frage noch viel heikler als die Xinjiangs. Die Merkmale des Tibet Problems sind: historische Unsicherheit hinsichtlich Chinas Souveränität, Internationalisierung des Problems, Unterstützung der westlichen Gesellschaft, eine effektive Exilregierung, ein spiritueller Führer, der von den Tibetern verehrt wird und weltweiten Einfluss besitzt... Wenn man die langfristigen Interessen Chinas bedenkt, wäre es daher unklug, dieses Problem auf die lange Bank zu schieben. Und es ist ein noch größerer Fehler, auf den Tod des Dalai Lama zu warten. Dies ist eine irregeleitete Politik."

März 2002 Tibet Büro für UN Angelegenheiten, Genf


Quelle direkt übernommen: www.tibet-initative.de